Zukunft des Autodesigns: Revolution, Retro oder Ratlosigkeit? Prof. Baier (Pforzheim) gibt Einblicke im Moove-Podcast

Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Mit meiner Erfahrung als Geschäftsführerin einer Digitalagentur und meiner Begeisterung für die Automobilwelt bereite ich hier wertvolle Einblicke aus langen Podcasts auf. Ich bin zwar keine zertifizierte Mechanikerin oder technische Expertin, bereite die Inhalte aber sorgfältig auf, um komplexe Informationen für mich und andere verständlich zu gestalten.
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In der Episode "Moove | Auto-Design: Revolution, Retro oder Ratlosigkeit?" des Podcasts "Moove" von Auto, Motor und Sport tauchen die Moderatoren Luca Leicht und Patrick Lang tief in die Welt des Automobildesigns ein. Zu Gast ist Professor Kurt Baier, Leiter des Studiengangs Transportation Design an der renommierten Hochschule Pforzheim, einer der führenden Ausbildungsstätten für Automobildesigner weltweit. Baier, der selbst über 20 Jahre Design-Erfahrung bei Opel sammelte, bevor er in die Lehre wechselte, gibt Einblicke in die Ausbildung zukünftiger Designer, die Philosophie hinter gutem Design und die aktuellen Herausforderungen und Trends der Branche. Die Diskussion beleuchtet, wie Designschulen wie Pforzheim ihre Studenten auf eine sich rasant wandelnde Industrie vorbereiten, welche Rolle traditionelles Handwerk im digitalen Zeitalter spielt und wie sich Faktoren wie Elektromobilität, Globalisierung und neue Technologien auf die Gestaltung unserer zukünftigen Fahrzeuge auswirken. Es wird ergründet, ob die Branche vor einer Design-Revolution steht, sich im Retro-Trend verliert oder momentan eher ratlos agiert.

Wichtigste Erkenntnisse / Kernbotschaften

  • Die Hochschule Pforzheim verfolgt eine Ausbildungsphilosophie, die traditionelle analoge Techniken (wie Skizzieren auf Papier, Clay-Modellierung, Taping) mit modernen digitalen Werkzeugen (CAD, VR, AI) kombiniert. Diese handwerkliche Grundlage sei essenziell, um ein tiefes Verständnis für Form, Proportion und Ästhetik zu entwickeln, das auch in der digitalen Modellierung unerlässlich ist.
  • Gutes Automobildesign geht weit über reine Ästhetik hinaus. Es erfordert starkes konzeptionelles Denken, ein Verständnis für Funktionalität, Ergonomie, Technologie und die Bedürfnisse der Zielgruppe. Die Ausbildung in Pforzheim legt daher auch Wert auf technische Fächer wie Aerodynamik und Konstruktionslehre sowie künstlerische Grundlagen.
  • Automobildesign ist ein komplexer Teamsport, der eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Designern, Ingenieuren, Marketingexperten und anderen Abteilungen erfordert. Erfolgreiche Produkte entstehen oft aus Kompromissen und gemeinsamer Lösungsfindung innerhalb dieser Partnerschaften.
  • Die Elektromobilität und neue Technologien (wie Displays, smarte Materialien, Fahrerassistenzsysteme) eröffnen neue gestalterische Freiheiten (z.B. Frontgestaltung, Innenraumkonzepte), stellen Designer aber auch vor Herausforderungen, etwa bei der Aerodynamik (Reichweite) und der Gestaltung intuitiver, nicht überfordernder Benutzeroberflächen.
  • Trotz Globalisierung und Plattformstrategien bleibt die Schaffung einer klaren Markenidentität und -differenzierung entscheidend. Designsprachen spiegeln oft noch nationale Charakteristika wider (z.B. deutsche Klarheit vs. französische Verspieltheit) und müssen auch bei Gleichteileverwendung gewahrt werden.
  • Der Fahrzeuginnenraum wandelt sich zunehmend von einem reinen Funktionsraum zu einer "Experience", bei der neben Haptik und Optik auch Faktoren wie Lichtstimmung, Sounddesign und digitale Interaktion eine immer größere Rolle spielen, insbesondere im Hinblick auf zukünftige Mobilitätskonzepte wie autonomes Fahren.
  • Retro-Design kann emotional ansprechend sein und auf Markenhistorie aufbauen (z.B. Fiat 500, Renault 5), birgt aber die Gefahr, wenig innovativ zu sein. Eine subtile Integration von Heritage-Elementen wird oft als nachhaltigerer Ansatz gesehen als eine reine Kopie vergangener Modelle.
  • Wirklich innovatives Design muss nicht sofort jedem gefallen. Der "May Grow"-Effekt beschreibt, dass Designs, die anfangs polarisieren, oft über Zeit an Akzeptanz gewinnen und sich als langlebiger erweisen als solche, die sofortigen, aber oberflächlichen Anklang finden.

Die Pforzheimer Design-Schule: Ausbildung und Philosophie

Professor Kurt Baier erläutert die Ausbildungsphilosophie der Hochschule Pforzheim, die maßgeblich zum hervorragenden Ruf der Institution beigetragen hat. Ein Kernmerkmal ist die bewusste Kombination aus analogen und digitalen Techniken. Studenten lernen weiterhin klassisches Handwerk wie das Skizzieren auf Papier – für Baier die schnellste Methode, Ideen festzuhalten – und die Modellierung mit Clay (Industrieplastilin). Sogar das "Taping", das Aufbringen von Klebebandlinien auf Clay-Modelle zur Definition von Kanten und Flächen, wird gelehrt, obwohl es in der Industrie seltener wird. Baier argumentiert, dass diese analogen Methoden ein tiefes Verständnis für Form, Proportionen und den Aufbau eines Modells vermitteln, das für die digitale Modellierung unerlässlich ist ("Wer kein guter Clay-Modelleur ist, wird auch kein top digitaler Modelleur."). Ergänzt wird dies durch die Lehre moderner digitaler Werkzeuge wie Alias, Blender, Maya und VR-Anwendungen wie Gravity Sketch, bis hin zu KI-Tools. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Pforzheimer Ausbildung ist die künstlerische Komponente (Skulptur, Malerei) und die Vermittlung technischer Grundlagen wie Aerodynamik und Konstruktionslehre. Dieser breite "Rucksack" an Fähigkeiten mache die Absolventen für die Industrie attraktiv und sei ein Grund, warum Pforzheimer Designer weltweit gefragt sind.

Der Designprozess: Von der Skizze zum Modell

Der Weg von der ersten Idee zum fertigen Designentwurf ist ein iterativer Prozess. Die Skizze dient als Ausgangspunkt, um die grundlegende Idee und Emotion zu kommunizieren. Die Übertragung dieser 2D-Idee in ein 3D-Modell (oft zunächst im kleineren Maßstab, z.B. 1:3 oder 1:4) ist ein kritischer Schritt. Hier kommt die Clay-Modellierung ins Spiel, bei der die Proportionen und Flächen haptisch erarbeitet und verfeinert werden. Das "Taping" hilft dabei, Linienführungen präzise zu definieren und zu beurteilen. Obwohl digitale Werkzeuge den Prozess erheblich beschleunigen – Baier nennt das Beispiel der Radgestaltung, wo digital an einem Tag mehr Varianten entstehen als früher analog in einer Woche – bleibt das physische Modell wichtig, um Formen und Proportionen im realen Raum beurteilen zu können. Moderne Prozesse nutzen oft eine Kombination: Digitale Entwürfe werden gefräst, das Clay-Modell wird manuell verfeinert, gescannt und digital weiterbearbeitet. Effizienz ist in der Industrie entscheidend, da die Entwicklungszyklen kürzer werden, doch Baier betont, dass die an der Hochschule vermittelten Grundlagen auch in diesem beschleunigten Umfeld bestehen.

Markenidentität und Designsprache

In einer Zeit, in der viele Fahrzeuge technisch auf denselben Plattformen basieren (Beispiel Stellantis-Konzern mit Opel Corsa, Peugeot 208 etc.), wird das Design zum wichtigsten Differenzierungsmerkmal. Jede Marke benötigt eine klare Designphilosophie und wiedererkennbare Designelemente, um eine eigene Identität zu schaffen und Kunden zu binden. Baier argumentiert, dass externe Designstudios, die für viele Marken arbeiten, diese klare Differenzierung schwerer erreichen können. Die Herausforderung besteht darin, trotz gemeinsamer technischer Basis und Gleichteilen (aus Kostengründen) eine markenspezifische Ästhetik zu entwickeln. Dies kann über die Gesamtproportion, spezifische Linienführungen, die Frontgestaltung (z.B. Opel Vizor) oder Details wie Lichtsignaturen geschehen. Die Diskussion streift auch nationale Designidentitäten: Gibt es noch typisch deutsches, französisches oder italienisches Design? Baier bejaht dies tendenziell und nennt als Beispiel unterschiedliche Sitzabstimmungen (fester in Deutschland, weicher in Frankreich) oder die klarere, schlichtere Formensprache bei Opel im Vergleich zur verspielteren bei Peugeot. Diese Identitäten zu wahren, sei auch in einer globalisierten Welt wichtig.

Einflussfaktoren auf modernes Automobildesign

Automobildesign wird von einer Vielzahl externer Faktoren beeinflusst. Die Elektromobilität hat große Auswirkungen: Wegfallende Kühlergrills ermöglichen neue Frontgestaltungen, die Unterbringung der Batterie beeinflusst Proportionen und Innenraumgestaltung, und die Aerodynamik gewinnt zur Maximierung der Reichweite enorm an Bedeutung. Sicherheitsanforderungen (Crash-Sicherheit, Fußgängerschutz) haben über die Jahre zu veränderten Fahrzeugdimensionen geführt (z.B. höhere Frontpartien, dickere Säulen). Neue Fertigungstechnologien ermöglichen komplexere Formen und schärfere Kanten, die wiederum neue Design-Trends setzen. Baier betont, dass Design immer im Spannungsfeld dieser technischen und regulatorischen Rahmenbedingungen agiert. Es ist die Aufgabe des Designers, innerhalb dieser Grenzen die ästhetisch und funktional beste Lösung zu finden, oft in enger Abstimmung mit Ingenieuren.

Die Evolution des Interieurs: Vom Cockpit zur Experience

Besonders im Innenraum sieht Baier, der lange für Interieurs bei Opel verantwortlich war, einen Wandel. Er spricht nicht mehr nur vom "Interior", sondern von einer "Experience". Während früher Funktionalität und Ergonomie im Vordergrund standen, geht es heute zunehmend darum, ein Gesamterlebnis zu schaffen. Displays spielen eine zentrale Rolle, bergen aber die Gefahr der Überfrachtung und Ablenkung. Baier plädiert für eine Balance zwischen digitalen Interfaces und intuitiv bedienbaren physischen Elementen für häufig genutzte Funktionen. Die Herausforderung sei, Komplexität zu reduzieren und den Fahrer nicht zusätzlich zu stressen. Zukünftig werden "Smart Materials" – Materialien mit integrierter Technologie (z.B. hinterleuchtete Oberflächen, integrierte Bedienelemente) – neue Möglichkeiten eröffnen und vielleicht herkömmliche Bedienelemente wie Türgriffe überflüssig machen. Lichtstimmung (Ambient Lighting) und Sounddesign werden ebenfalls immer wichtiger, um Atmosphäre zu schaffen und das Wohlbefinden zu steigern. Der Ansatz, "von innen nach außen" zu designen – also zuerst den optimalen Innenraum zu gestalten und darum das Exterieur zu formen – hält Baier für richtig, da Nutzer die meiste Zeit im Fahrzeug verbringen.

Globale Einflüsse und die Rolle Chinas

Die Automobilwelt wird zunehmend globaler, was auch das Design beeinflusst. Chinesische Hersteller drängen verstärkt auf den europäischen Markt und etablieren hier eigene Designzentren (oft in Städten wie München), um die lokalen Kundenbedürfnisse und Designvorlieben besser zu verstehen. Sie rekrutieren dafür oft erfahrene europäische Designer. Baier sieht darin eine Herausforderung, aber auch eine Chance für Absolventen. Er beobachtet eine enorme qualitative Entwicklung bei chinesischen Fahrzeugen in Design, Technologie und Verarbeitung. Gleichzeitig betont er die Bedeutung der internationalen Zusammensetzung von Designteams (wie er es bei Opel erlebte) und auch der Studentenschaft in Pforzheim. Der kulturelle Austausch bereichere den Designprozess und helfe, Fahrzeuge für globale Märkte zu entwickeln, ohne die notwendige lokale Anpassung zu vernachlässigen.

Retro-Design: Zwischen Hommage und Ideenlosigkeit

Der Trend, auf historische Designs zurückzugreifen (Retro-Design), wird kontrovers diskutiert. Beispiele wie der Fiat 500, Mini oder der neue Renault 5 zeigen, dass dies kommerziell erfolgreich sein kann, indem es an positive Emotionen und Markenhistorie anknüpft. Baier zeigt sich ambivalent: Gut gemacht, könne Retro funktionieren. Es berge aber die Gefahr, wenig innovativ zu sein und sich zu sehr an der Vergangenheit zu orientieren statt die Zukunft zu gestalten. Kritischer sieht er die reine Wiederverwendung ikonischer Modellnamen für Fahrzeuge, die mit dem Original wenig gemein haben (Beispiele Ford Capri/Mustang Mach-E, Opel Frontera). Eine subtilere Integration von Design-DNA oder Heritage-Elementen in eine moderne Formensprache hält er oft für den besseren Weg, um die Markenhistorie zu würdigen, ohne in reiner Nostalgie zu verharren.

Was macht gutes Design aus?

Abseits subjektiven Geschmacks gibt es laut Baier durchaus Kriterien für gutes Design. Dazu gehören stimmige Proportionen (Verhältnis von Höhe zu Breite, Radstand zu Überhängen, Glasflächen zu Karosseriekörper), eine klare Haltung des Fahrzeugs auf der Straße ("stance") und eine kohärente Linienführung, bei der Designelemente miteinander in Beziehung stehen ("jedes Element braucht einen Freund") und nicht wie Fremdkörper wirken. Gutes Design fühlt sich integriert und durchdacht an, nicht nachträglich hinzugefügt. Funktionalität und Ergonomie sind ebenso wichtig wie die reine Ästhetik. Baier widerspricht der Idee, dass Schönheit rein mathematisch berechenbar sei (wie in einer Studie, die das Smart Cabrio als "schönstes Auto" ermittelte). Vielmehr sei es das Zusammenspiel vieler Faktoren und die emotionale Wirkung. Er verweist auf den "May Grow"-Effekt: Designs, die herausfordern und nicht sofort gefallen, haben oft mehr Substanz und Langlebigkeit. Der BMW i3 wird als Beispiel für ein anfangs polarisierendes, aber letztlich sehr gut gealtertes Design genannt.

Fazit

Die Diskussion mit Professor Kurt Baier verdeutlicht, dass Automobildesign ein hochkomplexes und dynamisches Feld ist, das weit mehr erfordert als nur das Zeichnen schöner Autos. Es bewegt sich im Spannungsfeld zwischen künstlerischem Anspruch und technischer Machbarkeit, zwischen Markentradition und Zukunftsvision, zwischen globalen Trends und lokalen Bedürfnissen. Die Ausbildung zukünftiger Designer muss diese Vielschichtigkeit widerspiegeln, indem sie sowohl handwerkliche Grundlagen als auch digitale Kompetenzen, konzeptionelles Denken und interdisziplinäre Fähigkeiten vermittelt. Während die Branche durch Elektromobilität, Digitalisierung und neue Wettbewerber vor großen Umbrüchen steht, bleibt die Kernaufgabe des Designs bestehen: Fahrzeuge zu gestalten, die nicht nur ästhetisch ansprechen, sondern auch funktional überzeugen und eine emotionale Verbindung zum Nutzer aufbauen – sei es durch revolutionäre neue Formen, eine geschickte Weiterentwicklung des Bestehenden oder sogar einen gekonnten Blick zurück.

Diese Zusammenfassung wurde mit Hilfe von KI aus dem Transkript der Podcast-Episode generiert.

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